IGA Berlin 2017

Ein "Mehr aus Farben" - Lesezeit 9 Min.

Am 13. April 2017 öffnet die Internationale Gartenausstellung in Berlin unter dem Motto "ein Mehr aus Farbe" Ihre Pforten. Grund genug das Spektakel aus Feng Shui-Perspektive zu betrachten...

Magnolia-quer.jpg Magnolien im chinesischen Garten

Die IGA 2017 präsentiert die ultimative Versammlung von unzähligen verschiedenen Ziergärten auf einer Fläche: vom zurückhaltenden libanesischen Garten, über den brasilianischen „Elemente-Garten" bis hin zum australischen Garten „Cultivated by Fire“.

Die Namen berühmter Landschaftsarchitektenn überschlagen sich: Taylor Cullity Lethlean (T.C.L) aus Melbourne, Valdimir Djuravic aus dem Libanon, Tom Stuart-Smith aus Groß-Britannien, Zhu Yufan aus China und vielen mehr.
Die Fläche der „Gärten der Welt“ wird um eine Seilbahn, eine Aussichtsplattform und den „IGA-Campus“ zum „Kienbergpark“ erweitert. Die Superlative überschlagen sich. Abgerundet wird das Ganze durch eine Seilbahn und eine Aussichtsplattform, für spektakuläre Bilder auf Facebook ist also gesorgt.

innere_und_aussere_ausrichtung.jpg Feng Shui Gartenplanung


Der Ziergarten ist ja von jeher die ultimative zivilisatorische Errungenschaft und damit unübertreffbar in seiner Nutzlosigkeit. Dies ist nicht nur im daoistischen Sinne ein ernst gemeintes Kompliment, denn dort wo das ultimativ „Nutzlose“ anfängt, beginnt ja von jeher die Kultur.

Wozu nun einen Garten anlegen?
Der Mönch legte ihn sicherlich zum Lobe Gottes an, Ludwig der 14. um zu repräsentieren, der Kaufmann um seinen Reichtum zur Schau zu stellen, aber sicherlich auch um sich Abends, nach getaner Arbeit an ihm zu erfreuen und zu regenerieren.

Wie unterschiedlich Kulturen ihre Gärten gedacht haben, wie sehr die Freude des Kopfes von der Freude des Herzens entfernt ist, lässt sich zweifelsfrei auf der IGA 2017 erkennen: die „Gartenkabinette“ repräsentieren viele verschiedene Kulturen und geben tiefe Einblicke. Generell können wir die Annäherung an die Gartenfläche und die erzeugten Stimmungen in einen „westlichen“ und „östlich-asiatischen“ „Geschmack“ unterscheiden.

Im Gegensatz zur westlichen Kultur, die sehr früh das „Objektive“ vom „Subjektiven“ zu trennen suchte, war die chinesische Kultur (und damit eben auch Feng Shui) vor allem mit den gegenseitigen Abhängigkeiten und Wirkungen von Objekten innerhalb einer Szene beschäftigt: Auftritt der so oft beschworenen „ganzheitlichen“ Wahrnehmung.

Japan_Garten_ Shunmyo_Masuno_Berlin_IGA_2017.jpg Der Garten des zusammenfließenden Wassers von Shunmyo Masuno

Wie ist diese „ganzheitliche“ Wahrnehmung von der „westlichen“ zu unterscheiden? Gibt es überhaupt mehr als einfach nur Wahrnehmung?

Genau genommen nicht.

Aber genau hier liegt auch der Fallstrick: in der westlichen Kultur sind wir so weit von unserer Wahrnehmung entfernt wie noch keine Kultur vor uns. Kaum eine Person vermag es noch, die eigenen Sinneswahrnehmungen ungetrennt von den zum gleichen Zeitpunkt entstehenden Gedanken wahrzunehmen, geschweige denn: zu beschreiben. Ein Haus ist weiß, die Treppe aus Granit, das Dach mit roten Ziegeln gedeckt - doch dies sind keine Gefühle! Das Haus ist kühl, die Treppe ruht, die Ziegel sind warm…

Es fällt uns unglaublich schwer, länger als 10-20 Sekunden in der direkten Wahrnehmung einer Szene zu verweilen ohne sie sofort durch unsere kognitiven Filter zu bewerten. Auf Grund unserer soziokulturellen Konditionierung neigen wir dazu, uns viel eher mit unseren Gedanken und den daraus entstehenden Gefühlen zu identifizieren, als mit den tatsächlichen Wahrnehmungen unseres Körpers („Bauchgefühl“). Und wenn wir dies tun, nehmen wir eine klare Trennung zwischen physischem „Körper“ und dem gefühlten „Leib“ vor - eine Unterscheidung die im daoistischen Denken nie vorkam. So entstehen oft Häuser und Gärten die auf dem Reissbrett wunderbar „gedacht“ wurden, sich aber schauerlich anfühlen.

Es ist nun nicht so, dass der chinesische Kulturkreis nicht vom biblischen Apfel der Erkenntnis gekostet hätte. Aber die Artikulierung des Qi-Konzept hat zu einem wesentlich längeren Ringen um den Erhalt der Einheit von - meine daoistischen Leser mögen mir verzeihen - "Körper, Geist und Seele" geführt. Denn das atmosphärische Verständnis von "Qi" ist die Grundlage für alle Kulturtechniken Chinas: die Kalligrafie, Tuschemalerei, chinesische Medizin, Qi-Gong, Tai-Chi, Strategietechniken, und eben auch das Verständnis um räumliche Atmosphären: Feng-Shui.

Diese ungetrennte Wahrnehmung von Körper, Leib und Objekt wird in der Mystik als „Einheitserfahrung“ beschrieben und oft gleichzeitig einer Gott-ähnlichen Instanz oder doch zumindest einem "Gottes-Erleben" zugeschrieben. Tatsächlich bedeutet dies jedoch eine Negation dieses Erlebens, da es einer Instanz zugeschrieben wird, die außerhalb von uns existiert. "Keiner kommt zum Vater denn durch mich". Aus daoistischer Sicht ist dies aber lediglich der natürliche Zustand des Shen/ des „Geistes“ oder „Bewußtsein“. "Gott" steht also nicht außerhalb von irgendetwas sondern wirkt durch jeden Aspekt der Schöpfung - und selbstverständlich auch durch uns.

Es sind also nicht die chinesisch/daoistische und die westliche Wahrnehmung an sich, die sich unterscheiden. Es ist das daoistische Streben nach der "unverfälschten Wahrnehmung", die sich dort einstellt wo wir aufhören unsere Wahrnehmung durch die Identifizierung mit unseren eigenen Gedanken zu „verunreinigen“. Es ist kein „Mehr“ sondern ein „Weniger“: die Wahrnehmung der realen Situation MINUS unserer Projektionen. Zum Zwecke einer erhöhten Selbstwirksamkeit.

Diese Ausrichtung auf und dauerhafte Erfahrung eines Zustands, den der Daoist „ohne Feuer sein“ nennt, führte zur Formulierung des „Qi“-Konzept, welches bis heute ohne Pendant im westlichen Kulturraum ist.

Was Feng Shui - und damit den räumlichen Kontext angeht, können wir dies durchaus als „Atmosphäre“ begreifen. Feng Shui verwendet eine breite Palette von Theorien um diese Atmosphären zu beschreiben: von Qi über Yin&Yang, über die 5 Elemente, die 4 Tiere, Drachenadern, „Erd-Puls“ um nur einige zu nennen.

Pano_Chineischer_Garten.jpg Chinesischer Garten, Teehaus zum Osmanthushain

Wozu das Ganze?

Die chinesische Medizin, die chinesische Ernährungslehre und Qi-Gong beschreiben, wie wir „Qi“ im Körper managen können. Es geht nicht ausschließlich darum Qi zu balancieren - Ziel ist es unser Qi, und damit unser Wohlergehen, unser direkt erfahrenes Lebensglück zu stärken und zu nähren.

In westlicher Sprache reden wir recht unbeholfen von einer „präventiven Medizin“. Denn medizinisch sind wir tatsächlich nicht dazu in der Lage Gesundheit zu definieren: Gesundheit ist für uns lediglich Abwesenheit von Krankheit!

Durch das Denken in „Qi“ - in Atmosphären und deren ständiger gegenseitiger Beeinflussung - können wir nicht nur Wohlergehen beschreiben, sondern auch zu einer gezielten Steigerung des Wohlergehen beitragen: Qi zu sammeln. Wir können uns tatsächlich das Qi, dass uns gerade fehlt, durch die geschickte Auswahl unserer Umgebung zuführen. Wer Ruhe braucht fährt ans Meer. Oder geht in den Garten. Feng Shui ist lediglich die Anwendung dieser Erkenntnis auf den Raum. Denn natürlich haben auch Räume eine Wirkung auf uns und können zu unserem Leid und Wohlergehen erheblich beitragen.

Wer die Gärten der Welt in Berlin Marzahn bereits kennt, weiß dies. Wenn wir uns für unsere „leibliche“ Wahrnehmung öffnen, dauert es nur Sekunden, bis uns der japanische Garten von Shunmyo Masuno in seinen Bann schlägt, wir in seine Atmosphäre eintauchen, sich unsere Stimmung verändert, Ruhe in uns einkehrt, eine geradezu meditative Haltung entsteht. Jedoch: diese Wahrnehmung setzt Willen zur Öffnung für diese Atmosphäre voraus, ist nicht objektivierbar, nicht in Excel-Tabellen festzuhalten, und immer maximal subjektiv. Wir betreten die Gartenfläche aus einer Sehnsucht nach Einswerdung mit der Atmosphäre dieser Fläche. Oder wir wählen eben: nicht einzutreten, weil wir die Atmosphäre der Fläche ablehnen, uns das Qi dieses Garten - ganz subjektiv - nicht nährt.

Nicht nur in den klassischen chinesischen Garten in Suzhou (Südchina) ist die Meisterschaft, die die chinesische Kultur im Erzeugen dieser Atmosphären errungen hat, auch heute noch hautnah spürbar. Das Zeitalter der Romantik lies die chinesische Gartenkultur dann auch in Europa aufleben, Lenée und der englische Landschaftsgarten legen davon ein üppiges Zeugnis ab. Selbst der so beliebte japanische „Zengarten" ist Zeuge eines Tang-zeitlichen daoistischen Exports.

Ein_Mehr_aus_Farbe.jpg Mehr Farbe. Aber wozu?

IGA 2017 - nun also ein „Mehr aus Farben“?

Ein Wolkenhain, eine Seilbahn, unzählige Gartenkabinette. Doch wozu? Die quantitative Anhäufung von Attraktionen ist sehr westlich und kann gleichzeitig sicherlich zur ultimativen Steigerung der Nutzlosigkeit führen. Aber ist dies auch Kultur?

Werden sich die Konzepte, die gedachten Gärten in den Köpfen der prämierten Landschaftsarchitekten, tatsächlich zu Atmosphären verdichten wie im japanischen Garten von Shunmyo Masuno? Werden wir in die Sinnlichkeit eines orientalischen Gartens entführt? Oder bleibt es bei dem blutleeren, allegorischen „Wandeln im Worte Gottes“ eines christlichen Gartens? An welchen Orten wird sich unser Herz nähren können?

Lassen Sie uns dies gemeinsam herausfinden!